Maßschneiderei ist altes Handwerk – und moderner Zeitgeist zugleich. Es boomt. Mit viel Leidenschaft zum Nähen entstehen in Ateliersarbeit und in einem beeindruckenden Prozess superindividuelle Einzelstücke. Eines dieser Ateliers führt Herrenmaßschneider Sebastian Hoofs in Köln, dessen Anzüge eine klare Handschrift tragen: auffälliges Innenfutter, keine Abnäher auf der Vorderseite!
Für Sebastian Hoofs ist einer der schönsten Momente seiner Arbeit, wenn der Kunde den fertigen Anzug abholt und vor Glück strahlt. Seine Kunden, die ebenso wenig von der Stange sind, wie seine Anzüge, lieben seine Kunst. Allerdings, wer nur auf den Anzug schaut, verkennt die Bedeutung der Maßschneiderei. Es geht um Hingabe, Leidenschaft, Perfektion und noch viel wichtiger: um ein sehr persönliches Ritual.
Ursprünglich wollte er Dolmetscher werden, doch das Handwerk setzte sich durch. Seit 2014 betreibt Hoofs sein eigenes Atelier in der Domstadt und war von Anfang an überzeugt: Wenn man als Maßschneider unabhängig arbeiten will, muss man sich selbstständig machen. Der Glaube an sich selbst steht dabei übrigens an oberster Stelle, weiß Hoofs, denn der Maßschneiderei war lange Zeit keine Zukunft vorausgesagt.
Sebastian, wie bist du zum Nähen gekommen?
Fast meine ganze Familie hatte mit Schneiderei zu tun. Daher war ich immer damit in Verbindung. Ich bin nicht so gut im abstrakten Denken und mache gerne etwas Praktisches. Es macht viel Freude, einzigartige Stücke für die Kunden zu erschaffen.
Und wie wird man Maßschneider?
Eine Ausbildung zum Maßschneider dauert in Deutschland drei Jahre und erfolgt in einem dualen System. Eine rein schulische Ausbildung gibt es nur im Damen-Handwerk, danach ist eine Anstellung in der Industrie nicht unüblich. Man muss sich früh entscheiden, ob man Herrenmaßschneider werden möchte, da die Betriebe meist entweder für Herren oder Damen arbeiten, denn das Handwerk ist jeweils sehr speziell.
Wie entsteht eigentlich ein maßgeschneiderter Anzug?
1. Die Erstellung eines kompletten Anzugs dauert insgesamt etwa 100 Stunden. Der erste Schritt ist ein Termin zur Beratung. Dabei lernt man sich erst einmal kennen. Der Prozess ist sehr persönlich, weil ich die Kunden für die Anproben auch in Unterwäsche sehe. Die Chemie muss also stimmen. Beim ersten Treffen tauschen wir uns auch schon über die Vorstellungen, mögliche Designs und Stoffe aus. So gestalten wir zuerst einen Anzug im Kopf.
2. Anschließend geht‘s ans Messen. Ich benötige ungefähr 35 Maße. Die Figur besteht auch aus der Haltung der Person und den Besonderheiten des Körpers. Das können zum Beispiel unterschiedlich lange Beine sein.
3. Im nächsten Schritt wird das Material bestellt und die Einlage wird vorbereitet. Sie ist ein aus verschiedenen Lagen gefertigtes „Gerüst“ aus Rosshaar. Außerdem machen wir den Papierschnitt. Dabei wird der Schnitt auf den Stoff übertragen und ausgeschnitten. Die vorbereitete Einlage kommt unter den Anzug, wird also untergeschlagen und anschließend zusammengeheftet – sie gibt die Silhouette vor. Im Gegensatz zum Anzug von der Stange, kann man hier individuell ein wenig tricksen und so die Figur optimieren. Dann machen wir eine erste Anprobe. Im gleichen Zug werden Details zu Taschen und Knöpfen besprochen.
4. In der zweiten Anprobe fertigen wir einen Probeärmel des Sakkos an. Der Ärmel hat eine größere Schwierigkeit, da er hinsichtlich der Länge und Drehung passen muss.
5. Bei „außergewöhnlichen“ Mustern, beispielsweise Karos, braucht man oft nochmal eine Anprobe. Da muss nämlich jedes Karo stimmen. Ganz am Ende kommt die Bügelsession, die erfordert noch mal viel Geduld.
Hast du einen eigenen Stil?
Jeder Maßschneider entwickelt mit der Zeit seinen eigenen Haus-Stil. Ich mag es, wenn die Anzüge von der Passform perfekt und ansonsten eher schlicht sind. Bei meinen Anzügen ist sehr auffällig, dass es vorne keinen Abnäher gibt. Unsere Sakkos sind durch schmale Ärmel gekennzeichnet. Das Futter verarbeiten wir recht auffällig. Ich nehme gerne die schlichte, strahlende Präsenz der Mode der 1920er als Vorbild und interpretiere sie neu, das finde ich toll!
Rückenwind durch Social Media
Sebastian Hoofs sieht den Boom der Maßschneiderei zum einen in Social Media begründet. Social Media funktioniert ein bisschen wie ein Schaufenster – man erhält einen Einblick in die Arbeit und sieht nicht nur das fertige Produkt. Zum anderen streben Menschen heute nach Individualität und Nachhaltigkeit. Hoofs ist überzeugt: Die Einzigartigkeit des maßgeschneiderten Anzugs trifft dabei genau den Nerv der Zeit.
Einfach mal machen
Sebastian Hoofs empfiehlt Hobbyschneidern, ganz nach dem Motto „just do it“ zu nähen: Sich nicht einschränken, loslegen und einfach nach Lust und Laune etwas ausprobieren. Solange man sich in dem fertigen Teil wohl fühlt, ist es nicht schlimm, wenn mal etwas nicht ganz korrekt sitzt. Entscheidet man sich für ein fertiges Schnittmuster, kann es passieren, dass das Teil nicht der eigenen Größe entspricht. Das raubt dann schnell die Motivation. Ein wichtiger Tipp ist deshalb: vorher unbedingt Maßnehmen!
Bilder: Sebastian Hoofs