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Kimono bleibt Kimono

Bei wenigen Kleidungsstücken hat man so schnell ein so eindeutiges Bild im Kopf wie beim Kimono. Wenn man das Wort hört oder liest, denkt man sofort an opulente Stoffe in zahlreichen kraftvollen Farben – und natürlich an seine unverwechselbare Form. Abgesehen vom Wiedererkennungswert handelt es sich beim Kimono ohne Zweifel auch um ein Kulturgut mit langer Tradition. Sogar sehr langer Tradition: Streng genommen haben wir es hier nämlich mit einem der ältesten Kleidungsstücke Japans zu tun. Auch ohne sich im Detail zu verlieren, kann es ungemein spannend sein, auf die Herkunft dieses faszinierenden Kleidungsstücks zurückzublicken.

Der chinesischen Schrift „Gishi-wajin-den“ zufolge, trugen die Japaner des 3. Jahrhunderts sogenannte „Kanfuis“ – ein Stück Stoff, das um den Körper und eine Schulter gewickelt wurde. Diese Tragweise war allerdings dem männlichen Teil der Bevölkerung vorbehalten. Das weibliche Pendant „Kantoi“ dagegen war eine ärmellose Ausführung des Gewands. Dieser Kantoi, der sich im Laufe der Zeit zur Konsode (Robe mit Armlöchern) entwickelte, gilt als Prototyp dessen, was wir heute unter einem Kimono verstehen: eine T-förmige, knielange Robe mit weiten Ärmeln, die bei ausgestreckten Armen bis zur Hüfte oder – in einigen wenigen Fällen –  gar bis zum Boden reichen können. Heute, circa 18 Jahrhunderte nach seiner ersten Erwähnung, ist das japanische Kleidungsstück aus der Mode nicht mehr wegzudenken und hat sich im Laufe der Zeit zweifellos seinen Kultstatus verdient.

Der Kimono und sein Obi

Jede dieser Kult-Roben ist in ihrer Herstellung eine Hommage an das Handwerk. Die aus Stoffballen gewonnen einzelnen Stoffbahnen sind aufwändig vernäht, gesteckt und drapiert. Zusammengehalten wird der geradlinige Kimono durch den schärpenartigen Obi. Dieser 3 bis 4 Meter lange Stoffgürtel ist in seiner Farbenpracht kaum zu überbieten und dient als klarer Kontrastpunkt zum eigentlichen Kimono. Neben dem Zusammenhalten des Kimonos hat er aber noch eine weitere, nicht ganz so offensichtliche Funktion: Ähnlich wie die Schleife der Schürze eines bayerischen Dirndls, verrät er bei genauerer Betrachtung den familiären Status der Trägerin. Während verheiratete Frauen einen einfachen Knoten tragen, sind bei alleinstehenden Trägerinnen besonders auffällige und aufwändige Knoten zu entdecken.

 

So vielfältig wie anspruchsvoll

Stoff, Stil und Farben von Kimonos variieren bis heute je nach Anlass und Jahreszeit und werden daher situationsbedingt gewählt. Der Farb- und Mustervielfalt sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Doch was nun klingen mag, wie unser morgendlicher Entscheidungskampf vor dem Kleiderschrank, ist in Wahrheit viel komplexer. Die japanischen Tier- und Blumenmotive sind so zahlreich wie spektakulär. Als beliebtes Beispiel sei hier die Kirschblüte genannt, die ein Symbol für Loyalität und Erneuerung ist. Kimonos, die von diesem Motiv geziert sind, werden deshalb vorzugsweise zur Geburt verschenkt. Auch Motive wie Bambusgitter, Libellen oder Schmetterlinge erfreuen sich vor allem auf weiblichen Kimonos großer Beliebtheit. Die Liste an japanischen Motiven und deren langjährige und spezifische Bedeutungen lässt sich nahezu endlos fortsetzen und in ihrer Komplexität kaum gänzlich nachvollziehen.

Gleiches gilt für das korrekte Anlegen raffinierter Kimonos, wie sie meist zu besonderen Anlässen getragen werden. Es ist eine Wissenschaft für sich. Um die mindestens 20 Einzelschritte auszuführen, die dazu notwendig sind, benötigen die meisten japanischen Frauen die Unterstützung von speziell hierfür ausgebildeten Gehilfen. Der Träger schlüpft zunächst in ein Unterteil, bevor der eigentliche und deutlich schwerere Kimono zum Einsatz kommt. Eine Faustregel, die wir uns aber alle gleich notieren können: Es ist wichtig, dass beim Falten die linke über die rechte Hälfte gezogen wird. Die umgekehrte Variante ist Verstorbenen vorbehalten und sollte daher tunlichst vermieden werden. 

 

 

Alltagsrobe oder Festtagsgewand?

Natürlich gibt es in Japan nach wie vor Berufsbilder, wie die des Sumo-Ringers oder der Geisha, welche das Tragen eines speziellen Kimonos als „Berufsbekleidung“ erfordern, doch für die Allgemeinheit gilt: Während der einzigartige Mantel in seinen Anfängen eher als Alltagsgewand diente, wird er mittlerweile in Japan vor allem zu festlichen und besonderen Anlässen getragen. Ganz vorne mit dabei sind hier natürlich Hochzeiten. Wie so oft in der Modewelt, entscheidet auch beim Kimono die Wahl des Stoffes über die Eleganz eines Kleidungsstücks. Wo für lässige Anlässe also eher Baumwoll- oder Leinenkimonos die richtige Wahl sind, muss der traditionelle Hochzeitskimono, der Shiromuku, ja fast aus Seide bestehen. Und so ist es auch! Auf dem weißem Seiden-Brokat sind zudem eingewebte, glücksverheißende Motive wie Kraniche oder Pinien zu entdecken. Mit seiner wattierten Saumschleppe und vergleichsweisen Überlänge ist der Shiromuku zweifellos eine Besonderheit. Ein Kulturgut, das auch seinen Preis hat. Kimonos können bis zu 20.000 Euro teuer sein und werden daher häufig von Generation zu Generation weitervererbt.

Kimono bleibt Kimono

Kaum ein Kleidungsstück scheint so viel Tradition und Geschichte in seiner DNA zu haben wie der Kimono. Dennoch, oder gerade deswegen, hat er seit seiner Entstehung zahlreiche Abwandlungen in Sachen Design und Funktion erfahren. Auf diese Weise erlangte der Kimono zu gegebener Zeit auch auf der Westhalbkugel einen alltagstauglichen Status und wurde so zum Prêt-à-porter-Stück.

 

Angefangen als verführerisches Kleidungsstück für den Homewear-Bedarf, ist der Kimono heutzutage auch über die eigenen vier Wände hinaus salonfähig geworden. Als Strandbekleidung oder auch in einer lässigen Streetstyle-Kombination hat er uns schon häufig überraschen und nicht selten überzeugen können. Der Kimono ist in jedem Fall ein echter Hingucker – und ein äußerst bequemer noch dazu. Kein Wunder also, dass der einst in Japan entstandene Schnitt mittlerweile auch bei uns in zahlreichen Kleiderschränken zu finden ist. Auch wenn Fast-Fashion-Ketten wie Zara & Co. mitnichten Kimonos hervorbringen, die an die Aura der japanischen Originale heranreichen, so sind wir doch froh, ein Teil der modischen Tradition zu sein.

Zugegeben: Diese Art von Kimonos haben dem Schnitt nach nur noch wenig mit den faszinierenden Originalen gemein und sind doch zweifellos dadurch inspiriert und größtenteils auch toleriert worden. Doch als der US-amerikanische Reality-Star Kim Kardashian West vor einiger Zeit ihrer neuen Unterwäschekollektion den Namen "Kimono" verleihen wollte, war der Geduldsfaden der Japaner endgültig gerissen. Der Reality Star löste damit gar eine regelrechte Empörungswelle aus, in Folge derer die Idee wieder verworfen werden musste. Zum Glück wie wir finden! Kimono bleibt damit eben doch Kimono! 

Quellenangabe:

Ärger wegen Kimono, welt.de, 2019
Kimono: Ein Kleidungsstück im Wandel der Zeit, japandigest.de, 2019
Baum, Anna-Luise: Der Kimono ist der traditionelle Trendmantel aus Asien, hapersbazaar.de, 2018
Böker, Carmen: Seide für Salonlöwinnen, zeit.de, 2017