„As long as heaven and earth exist, the rules of fashion will never end“ – erste Zeile des Gebets der Sapeurs.
Armani, Gucci, Louis Vuitton – jeder Modefan wird diese Liste problemlos fortsetzen können. Es handelt sich um wohlbekannte Luxuslabels, die vor allem mit Glanz und Glamour assoziiert werden. Sie haben ihren Ursprung in schillernden Modemetropolen wie Paris, Mailand oder New York. Die extravaganten Kleidungsstücke besagter Labels stechen nicht nur durch ihr Design sondern auch durch hohe Preise hervor, die die Zielgruppe weitestgehend mitbestimmen. Schließlich kommen sie eher für wohlhabende Träger in Frage. Die Kollektionen vergangener internationaler Fashion Shows in den ärmlichen Gassen Kongos? Fast unvorstellbar! ... und doch Realität.
Hast du schon einmal von Les Sapeurs gehört? Es handelt sich um eine überaus farbenfroh und elegant gekleidete Gruppierung von Männern, die die Straßen ihrer Heimat Brazzaville regelmäßig zu einem Laufsteg verwandeln.
Es ist ein kontrastreiches Bild: Die Hauptstadt der Republik Kongo mit ihren rund 1,8 Mio. Einwohnern gilt auch heute noch als wirtschaftlich schwach und hat mit einer unzureichenden Infrastruktur zu kämpfen. Ihre Bewohner haben häufig kaum Ersparnisse und müssen ihr Einkommen für das Allernötigste ausgeben. Nur die wenigsten schaffen es, sich darüber hinaus etwas zu gönnen. Obwohl die Sapeurs hierfür auf komfortablere Wohnverhältnisse oder Hilfsmittel wie ein Auto verzichten müssen, bevorzugen sie es, ihr hart verdientes Geld in namhafte Luxuslabels aus Italien und Frankreich zu investieren. Klingt außergewöhnlich – ist es auch.
Doch diese Bewegung hat ihre Wurzeln weit in der Vergangenheit. Der Geschichte nach kehrte in den 1920er Jahren ein Mann namens André Grenard Matsoua aus Paris nach Afrika zurück – gekleidet in dem Aufzug eines „französischen Monsieurs“. Zu einer Zeit, in der seine Heimat eine Kolonie Frankreichs war und viele Bewohner in noch ärmlicheren Verhältnissen lebten als heute. Umso mehr Aufmerksamkeit erregte der Auftritt des Rückkehrers, der sich, gemäß dem Ausspruch „Kleider machen Leute“, von der Mehrheit abheben und in eine neue Rolle schlüpfen wollte. Diese sollte ihn dem Status seiner ehemaligen Hausherren näher bringen und nach außen hin vermitteln, dass er sich in seiner Abwesenheit weiterentwickelt hat, während seine afrikanischen Mitmenschen noch in ihren alten, tristen Lebensumständen verharren.
Die heutigen Sapeurs haben die Tradition zwar meist von ihren Vätern übernommen, sehen die Bewegung aber als eine, mit einem leichteren, freudigen Hintergrund. Das Ausleben derselben soll sie davon abhalten, sich in „dunkle Ecken“ zu begeben und eventuelle Straftaten zu begehen. Die Idee ist simpel: Wer sich stilvoll kleidet, verhält sich auch so. Kongos Fashionistas sind also der Überzeugung, dass ihr eleganter Aufzug sie von Negativem fern hält und so dem Positiven Raum bietet.
Einer aktuellen Definition zufolge, wird die Gruppierung als eine „Gesellschaft der Nachtschwärmer und eleganten Personen“ beschrieben. Jeden Sonntag tänzeln sie stolz durch die staubigen Gassen Kongos und ziehen dabei alle Blicke auf sich. Die Bewohner recken ihre Köpfe über die Mauern und betrachten die Gruppe von Männern mit Freude, Amüsement aber sicherlich auch einer gesunden Portion Verwunderung. Die Sapeurs überlassen nichts dem Zufall, sondern inszenieren sich regelrecht: Sie reißen ihre Jacketts auf und ziehen die Hosenbeine hoch. Dabei werden Labels europäischer Luxusmarken in den Fokus der Aufmerksamkeit gezwungen – in Gesellschaft bunter Socken.
Keine Frage: Es ist eine Gruppierung, die auffallen und polarisieren will. Sie zeigt mit ihrem sonntäglichen Schaulaufen unverblümt, was sie hat. Es ist und bleibt für viele Zuschauer ein Mysterium, wie ihre Mitbürger – die doch häufig den gleichen Beruf ausüben wie sie selbst – einen Zugang zu derart kostspieligen Kleidungsstücken haben. Billige Fälschungen kommen für überzeugte Anhänger der kongolesischen Bewegung auf jeden Fall nicht in Frage. Stattdessen greifen sie auf Secondhandware zurück und unterstützen sich durch den Austausch von Kleidung gegenseitig. Durch immer wieder neue Kombinationen kommen sie so mit ein und derselben Sammlung eine ganze Zeit lang aus. Und obwohl sie sich durch die Wahl der schrillen Farben und die nahezu ironisch wirkende Eleganz bewusst von ihrer Umgebung abzuheben versuchen, bezweckt die Ausübung ihrer Tradition weit mehr als den Gewinn ehrfürchtiger oder gar neidischer Blicke.
So sind die Sapeurs zweifellos für viele Anwohner der Republik Kongo auch zu einem Symbol der Hoffnung geworden. Die Bewegung unterstreicht, dass wahrer Stil vom Träger selbst ausgeht und nicht durch seine Umgebung bestimmt wird. Auf diese Weise machen die Männer Mut, dass es in der Macht eines jeden einzelnen liegt, seine Wahrnehmung durch Dritte zu beeinflussen – unabhängig der Herkunft. Für die Sapeurs selbst ist ihr eleganter Aufzug mehr als Kleidung, es ist eine Überzeugung. Ihr Äußeres verschmilzt mit ihrer inneren Haltung und Einstellung: Haute Couture wird zur Lebensphilosophie.
Quellenangabe:
Äquator - die Linie des Lebens, eine Reportage von ZDF, 2018
Die Sapeurs von Brazzaville, der Spiegel, 2018
Les Sapeurs of Congo, Adora Mba, hipafrica.com